In der Sprache denken lernen und warum es manchmal schwer ist, nicht in Phrasen zu verfallen. Dramatiker, Essayist, Verfasser von Romanen und Filmemacher Richard Schuberth findet in vielen Genres Worte – auch wenn er Interviews zunehmend als problematisch empfindet. Die Kulturfüchsin traf den charmanten Verfechter des kritischen Denkens mit spitzer Feder zum Gespräch. Eine ernste Plauderei über die Bedeutung von Sprache, virtuelle Wirtshausstammtischrunden, die Simpsons und warum das postmoderne Theater oftmals zu leeren Ritualen verkommt.
Dein letzter Streich am Buchmarkt war die Neuauflage von „30 Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus.“ Die Forderung, mit Kraus in der Sprache denken zu lernen, durchzieht das Buch wie ein roter Faden. Wenn ich heutzutage einen Text in mein Smartphone tippe, schlägt mir das Gerät das nächste passende Wort oder gar Icon vor. Was können wir in einer von Texterkennungsprogrammen, Anglizismen und Piktogrammen geprägten Welt von Kraus lernen?
Kraus ist entgegen der Meinung vieler kein Gewährsmann für kulturpessimistische oder kulturkonservative Positionen. Er lehnt das Neue per se nicht ab. Er selbst verwendet beispielsweise in einem Text aus dem Jahr 1923 einen Begriff wie „ausgepowert“ – einen Anglizismus, von dem wir geglaubt haben, er sei frühestens in den 80er Jahren zu uns gekommen. Kraus geht es in seiner Sprachkritik darum, dass Sätze und Wörter nicht zu Instrumenten versklavt werden. Eine der für ihn schlimmsten Phrasen ist die von der „Sprachbeherrschung“. Sie drückt das Verhältnis zu Sprache und Welt aus, von Menschen, die in einer unfreien Gesellschaft selbst beherrscht werden. Diese Unfreiheit wird an die Sprache weitergegeben. Viele Autoren behaupten, sie wollten in ihren Texten nur den Sachwert transportieren. Damit wird Sprache aber zu einer Art beliebig zusammensetzbarem Baukastensystem. Wenn wir Sprache wie fertige Legosteine verwenden, dann denken wir auch so, und werden folglich selbst in ein Legosystem umgewandelt. Demzufolge muss hinter der Forderung nach organischem Eigenleben von Sprache kein ästhetizistischer Anspruch stecken, sondern ein zutiefst politischer, weil Individualität, die Freiheit des Menschen, drückt sich in seinem Sprachgebrauch aus. Sprache ist nichts Metaphysisches. Das ist etwas, das Karl Kraus oft von jenen vorgeworfen wurde, die ihn nicht verstanden haben. Sie haben geglaubt, er sei ein Sprachmystiker, der einen heiligen, zeitlosen Schatz vor der Schändung durch die Moderne verteidigt. In Wirklichkeit ist er ebenso modern wie antimodern. Sprache ist etwas Gewordenes, etwas Soziales. Es geht darum, in der Sprache, nicht mit der Sprache, in Respekt vor den sprachlichen Möglichkeiten sich aus dieser Verdinglichung zu befreien, durch einen individuellen Ausdruck, der aber nie gestelzt sein soll. Kraus kritisiert ebenso die Pseudo-Individualisten, die glauben durch einen exzentrischen Ton Individualität für sich reklamieren zu können. Er fordert einen reflexiven Sprachgebrauch, der sich nicht in Phrasen und in Jargons ausdrückt.
Gerade Journalisten, aber auch Wissenschaftler oder Autoren verfallen oft in einen gebildeten oder angelernten Jargon. Inwieweit tappst du auch des Öfteren in die Falle?
Ich tappe natürlich immer wieder in diese Falle. Es hat Phasen gegeben, da war ich respektvoller gegenüber meinen geistigen Ahnen. Aber auch ich kenne diese Faulheit und das Sich-ausruhen-Wollen auf den Lorbeeren, sobald man glaubt, schon bewiesen zu haben, über das herrschende Mittelmaß hinaus zu sein. Prompt fällt man zurück in eine kommunikative Sprache, in diesen verbindlichen Ton, vielleicht aus Angst davor, als Wichtigmacher hingestellt zu werden, und imitiert vor allem in den sozialen Medien diesen legeren Bloggerstil. Nach dem Motto „If you can’t beat them, join them“. Man macht den Sprachduktus, den man eigentlich nicht mag, nach, und glaubt dadurch Macht über ihn zu haben. Aber der Duktus gewinnt Macht über dich und irgendwann beginnt man selber mit Phrasen und mit Termini technici um sich zu schmeißen, die überhaupt nicht notwendig sind. Vor allem in Interviews passiert das, weil man nicht genug Zeit zum Nachdenken hat, greift man zu sprachlichen Fertiggerichten und Instantformeln oder zu Hüllen von irgendwas vor Jahren Gedachtem. So wie ich es jetzt tue, zum Beispiel.
Du hast von sozialen Medien gesprochen. Was hätte Karl Kraus wohl zu Facebook gesagt? – ein Medium, indem du selbst sehr aktiv bist.
Als kluger Mensch hätte Karl Kraus so wie alle besseren Kritiker, die keine Kulturpessimisten sind, nie eine neue Technologie per se verteufelt, sondern vielmehr ihre dumme Verwendung. Ich kann weder das Telefon noch das Fernsehen oder das Internet schuldig sprechen. Es gibt jegliche Freiheit, diese Dinge sinnvoll zu nutzen. Eines der Hauptprobleme der sozialen Medien ist dieser Zwang zur kommunikativen Verbindlichkeit. Die Illusion der demokratischen Partizipation, dass man ständig in einer Art Wirtshausstammtischrunde sitzt und mit seinen Lesern verbiedert ist, da werden halbechte Kollektive erzeugt. Dieser Prediger- oder Kumpel-Ton ist mir ein Gräuel. Im privaten Echoraum werden die User bereits auf die Anforderungen des Bewusstseinsmarktes hinkonditioniert. Ist was nicht sofort eingängig – weiterscrollen und wegwischen. Das eigentliche Problem aber ist der Umkehrschluss. Alles was nicht in diesem eingängigen Duktus geschrieben ist, wird als unpassend abgetan. Ich könnte ja tolerant sein und mehrere Formen zulassen, doch die anderen Formen sind nicht tolerant gegenüber mir. Heutzutage gilt alles, was nur einen Relativsatz drinnen hat, bereits als sperrig.
Es gibt diesen Spruch „Kill your Darlings“. Manch einer spricht eher davon, sie nach fünfmaligem Versuch der Reanimation langsam entschlafen zu lassen. Wie hältst du das? Hast du dir im Nachhinein schon gedacht: Warum habe ich mich davon nicht trennen können, es nicht gekürzt?
Kill your Darlings ist auch so eine Phrase. Dort, wo es notwendig ist, muss man natürlich Ballast abwerfen. Wie gesagt sehe ich heutzutage allerdings das Dogma, dass in der Kürze und in der Eingängigkeit der einzig gangbare Weg liege. Dem misstraue ich. Bei meinem Roman „Chronik einer fröhlichen Verschwörung“ ist mir ständig geraten worden, ich solle nicht so weit schweifen. Alles was angeblich nutzlos ist und was vom kürzesten Weg abweicht, muss gestutzt werden. So etwas wie „Krieg und Frieden“ könnte am heutigen Buchmarkt in dieser Form vermutlich gar nicht mehr erscheinen. Dabei sind dort die Digressionen, bei Schlachtszenen und Beschreibungen von gesellschaftlichen Ereignissen, viel interessanter als der Hauptstrang der Handlung. Gerade ein guter Essay lebt auch von der Abschweifung, vom Sich-selbst-Verlieren im Stoff. Schlecht sind zu viele Doubletten, wenn sich ein Gedanke im Kreise dreht. Da sage ich: Keep your Darling and kill your mistresses.
Neben deinen theoretischen Texten und Polemiken bist du Dramatiker, Romanautor, Drehbuchautor, Filmemacher, Schauspieler, Cartoonist u.v.m. Ist Gesamtkunstwerk ein Begriff, mit dem du für dein Schaffen etwas anfangen kannst?
Ich habe so viele Sachen gemacht – wenn ich bei einer am Ball geblieben wäre, hätte ich möglicherweise eine ganz andere mediale Präsenz erreichen können, allerdings wäre ich berechenbarer, leichter einzuordnen. Es ist eine Lust, seine Vielfalt auszuleben, vor allem die Brüchigkeit seiner eigenen Identität bis zu einem gewissen Maß selbst bestimmen zu dürfen und dieselben Intentionen in verschiedenen Kleidern vorzuführen. Zu zeigen, dass wenn der Gedanke, die Substanz gut ist, er in allen Kleidern gut ausschauen kann, auch in hässlichen.
Wann hast du bemerkt, dass du dir das „Gewand“ der Polemik bzw. Satire besonders gerne anziehst?
Ich würde mich weder als Polemiker noch als Satiriker bezeichnen. Als Polemiker bist du schnell jemand, dem Sachlichkeit abgesprochen wird, und als Satiriker giltst du als ein distinguierter, vielleicht ein bisschen abgehobener Spaßmacher. Es war mir immer ein Bedürfnis, die rein formalistischen Anforderungen an das jeweilige Genre zu verspotten, um der Erkenntnis Luft zum Atmen zu verschaffen. Man wird dazu angehalten, eine bestimmte Form einzuhalten, damit die Genres leichter zu unterscheiden sind. Diese Vorausberechenbarkeit, dieses Ordnungsdenken ist mein Feind. Die muss man sprengen, nicht weil man gegen Disziplin der Form ist, sondern weil der Gedanke sich wieder frei bewegen und entfalten soll. Einen richtigen Gedanken muss man in jeder Form erkennen können, in einem philosophischen Traktat wie in einer Klamaukkomödie, vielleicht sogar in einem Werbespot.
Gibt es Situationen, wo man mit den Mitteln der Satire nicht mehr weiterkommt? In deinem Roman „Chronik einer fröhlichen Verschwörung“ hört der Spaß immer dort auf, wo du auf den Holocaust bzw. Klara Sonnenschein zu sprechen kommst.
Die satirische Aufarbeitung von so etwas wie dem Holocaust ist natürlich sehr heikel, weil das immer zu einer Verharmlosung oder zu einem Missgriff in Ton und Form führen kann. Wobei ich einer satirischen Form fast mehr Recht zuspreche als der bloßen realistischen Verdopplung. Für mich sind Filme, wie „Der Führer“ mit Bruno Ganz als Hitler oder dieser naive Spielberg-Zugang, der voyeuristisch und gewaltgeil ist, untragbar. Es ist falsch zu glauben, dass man diesem Schrecken mit einer realistischen Darstellung beikommen kann. Aber was ich da jetzt rede, wurde bereits zehn Mal besser von einem gewissen Ernst Katz in meinem Roman ausgeführt.
Du hast gegen diese postmoderne Spaßkultur oder wie du es nanntest gegen den gehobenen „City-Slacker-Humor“, der stark mit den Mitteln der Ironie arbeitet, nichts wird ernst genommen, alles verarscht, eine Polemik geschrieben. Was unterscheidet die Form der Satire von dieser oberflächlichen Ironisierung und sind die Protagonisten dieser gehobenen Spaßkultur in den heutigen politischen Entwicklungen vom Aussterben bedroht? Frei nach Hofer, wird auch Ihnen das Lachen bald vergehen?
Ich liebe Witz als Erkenntnisfunktion, und mag ihn nicht als bloße Unterhaltungsfunktion. Da hinein fällt auch dieser kultige, oft absurde Insiderschmäh, der in den 1980er Jahren von Deutschland ausgegangen ist und auch in Österreich seine Ableger gefunden hat. Diese Haltung, dass es nichts mehr gibt, wofür man sich engagieren will, und sich deshalb in absurdem Humor und einer gewissen Infantilität gefällt. Ich habe diesen schnöseligen Humor nie gemocht. Langsam gehen mir die politisch Inkorrekten angesichts einer neue Generation von linken Kritikern, die sich bierernst in ihrer eigenen moralischen Aufrichtigkeit gefallen, aber wieder ab. Vermutlich erscheine ich denen selbst als das, was ich selber kritisiert habe, als postmoderner Ironiker und politisch Inkorrekter. Als Gestus finde ich es lustig, aber Leute wie Grissemann und Stermann sind immer der Gesellschaftskritik in den Rücken gefallen. Wenn sie dann auf engagiert machen, wirkt das sehr unglaubwürdig. Gute Satire muss auch eine Aussage haben. Mischformen sind natürlich das Genialste. Da komme ich immer wieder auf die „Simpsons“ zurück – ein oft surrealer Schmäh, der sich nicht mehr analysieren lässt, mit geradliniger Gesellschaftskritik verbunden.
Und ausgestrahlt werden sie bei Fox …
Was drückt Kapitalismus schöner aus. Man fördert seine schlimmsten Kritiker, wenn sie Kohle einbringen.
Du hast einmal gesagt: „Was richtig ist, sollte nie positiv ausgedrückt werden, weil es dann wiederum zur Ideologie wird“ oder „Für mich ist ein ernst zu nehmendes philosophisches Denken eines, das keine positiven Entwürfe des richtigen Lebens anbietet“. Inwiefern siehst du dich selbst als politischer Autor? Beziehst du selbst auch politisch Stellung?
Ich glaube, mit jedem Wort ein politischer Autor zu sein, auch wenn der Text dann keine explizit politische Intention verfolgt. Ich bezeichne mich absichtlich als Kommunisten, weil sehr viele Menschen, die nicht einmal sozialdemokratisch, sondern kulturliberal sind, sich als Linke bezeichnen. Emanzipation kann nie ohne die Lösung von ökonomischen und sozialen Problemen erfolgen. Alles andere sind Ableitungen, Side Effects. In manchen meiner Essays und Texte nehme ich durch meine Kritik der angeblich Progressiven eine sehr marxistische Haltung ein.
Dennoch mach ich einen Bogen um marxistische Phraseologie. Es gibt dieses Kraus-Zitat: Die Kritik, die der Zensor versteht, wird mit Recht verboten. Ich kenne den Jargon vieler linker theoretischer Texte gut. Da gibt es großartige Sachen, nur würde ich nie so schreiben. Sprache sollte Sprachkunst sein, und trotzdem sollte man Menschen, die das Insiderwissen nicht haben, Gedanken nahebringen. Sie nicht durch zu hermetische Jargons abschrecken, aber die Verantwortung zum Selberdenken nicht abnehmen. Mir ist ein altmodisches Naturgedicht, wenn es formal gut ist und ein Gefühl stark ausdrückt, tausendmal lieber als ein politisches Pamphlet in einem automatisierten Stil.
Du hast dieses Jahr auch die Arbeit an deinem ersten Film beendet, eine „Abschiebungskomödie“, wie du sie in einem Interview scherzhaft bezeichnet hast. Inwiefern richtest du dich mit deiner Arbeit auch gegen den lustigen Migrantenfilm, die humorvolle Multikulticlash-Komödie?
Der Film, der ist im Grunde ein Pars pro toto für einen Langfilm, der noch nicht gedreht worden ist. Der Begriff Abschiebungskomödie war so eine Minutenidee, die ich kurz lustig fand.
Das Genre der launigen Culture-Clash-Komödie ist mir natürlich verdächtig. Es birgt die Gefahr, dass da eine oberflächliche spaßige Ebene eingezogen wird, oder mit dem Pathos der Völkerverständigung gearbeitet wird, dass Communities konstruiert statt überwunden werden, dass die Klischees des typisch Türkischen, Balkanischen oder Deutschen reproduziert werden. Wobei ja Klischees auch interessante Möglichkeiten bieten. Die Frage ist, wofür man ein Klischee verwendet, wie man es auflöst, welche Ebene nachkommt. Das ist ein ähnliches Prinzip wie es Karl Kraus für Redewendungen angewandt hat. Er hat bestehende Kalauer einfach umgedreht, rekontextualisiert, wie das der gelernte Akademiker sagen würde. Man kann ein Klischee wie einen Selbstmordattentäter mit einem Sprengstoffgürtel in eine Menge aus anderen Klischees reinschicken.
Mich interessiert vor allem der versteckte Rassismus, der Rassismus der Wohlmeinenden. Ich kenne kaum Werke, die den Rassismus der Linken und Liberalen zum Thema haben. In dreißig Jahren Migrationsdiskurs bin ich mit meinen Texten da allein auf weiter Flur. Auf diese Konkurrenzlosigkeit ist man aber irgendwann nicht mehr stolz, weil es da im kritischen Denken offenbar einen toten Winkel gibt. Damit meine ich vor allem Kulturalisierungen und Exotisierungen, etwa die Vorstellung, dass die fremde Kultur faszinierender, körperbetonter, exotischer, beckenflexibler oder what ever ist.
Das ist ein Thema, das du auch in vielen deinen Dramen thematisierst. Die Linke, die Gelehrte, die Künstlerin, die den Migranten nur aufgrund seines exotischen Status’ liebt. Wie kommt es, dass du dich gerade in diesem Frauenbild mittlerweile gut eingeschrieben hast?
Eines meiner Hauptprobleme ist, dass ich ein Mann bin. Als Mann bist du erst einmal unter Generalverdacht, wenn du dich feministisch äußerst. Mich interessieren Figuren, Männer und Frauen, bei denen Anspruch und Wahrheit auseinanderklaffen, ein Lieblingsfeld der Satire. Da bin ich von der Elfriede Jelinek beeinflusst, die gezeigt hat, wie man als kritische Frau Frauen kritisieren kann. So wie ich es fortschrittlicher, weil verstörender und zum Denken anregender finde, sympathische Nazis zu zeigen, so finde ich es auch extrem wichtig, Frauen zu zeigen, die nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen sind, um zu verdeutlichen, dass Unterdrückung, Repression, Verdinglichung ein System bilden, das auf alle einwirkt. Wer getreten wird, tritt weiter. Ich zeige nicht gerne positive Figuren, weil immer die Gefahr der Identifikation da ist. Manchmal ist das aber dann doch didaktisch wichtig. Mit Klara Sonnenschein und Biggi habe ich in meinem Roman sehr positive Frauenfiguren geschaffen. Die sind Superheldinnen, allerdings mit allerhand ironischen Brüchen.
„Wie Branka sich nach oben putzte“ wurde im Theater gespielt. Andere Stücke harren noch ihrer Aufführung. So richtig hast du deinen Platz noch nicht in der heimischen Theaterszene gefunden. Wie sollte die ideale Bühne für dich aussehen?
Ja, da kann ich nur Kraus zitieren: „Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie hören will.“ Es ist wahr, bis jetzt haben nur wenige Bühnen zu mir gefunden und ich habe auch noch zu wenigen Bühnen gefunden. Wenn ich die Möglichkeit hätte, bei einem großen Haus unterzukommen, sage ich nicht Nein. Vor 15 Jahren hätte ich wahrscheinlich Dramaturgen und Regisseure ermordet, die irgendeinen Scheiß mit meinem Stück machen. Irgendwann ist einem das egal, weil man gerne 200 Euro mehr pro Monat haben möchte und es ohnehin ein Kampf gegen Windmühlen wäre.
Die ideale Bühne wäre für mich eine, die nicht zu institutionalisiert ist. Eine Mischung aus bewährten konventionellen Mitteln und einem experimentellem frechen Zugang. Die Auflösung der traditionellen Dramaturgie ist eine großartige Erweiterung gewesen, aber das heißt nicht, dass die traditionelle schlecht ist, nur weil sie angeblich überholt sei. Ich halte nichts davon, jedes Stück zu zerstückeln, jeden Schauspieler und Bühnenbildner und Souffleur mitbestimmen zu lassen, ob ein Sager erlaubt ist oder nicht, nur weil sie ihn nicht verstehen. Ich bezeichne die pseudoprogressive Theaterszene in meinen Polemiken immer als Operettenstadl. Für mich ist es leider meistens nicht mehr als Formalismus, wenn irgendein Theaterhipster mit deutscher Theaterbrille ins Mikrofon wütende Textflächen reinbellt. Was da mit dem Nimbus des Progressiven daherkommt, ist seit 100 Jahren fast wirkungslose Folklore, geistfeindliche Effekthascherei, die im Leerlauf Dinge dekonstruiert, deren Konstruktionspläne sie nicht kennt. Das ist nicht besser als Operette in meinen Augen. Wenn sich diese Theaterhipster zu einem Interview dann vor ein Mikrofon verirren, verraten sie sich immer. Ich habe noch nie etwa anderes als völligen Scheißdreck aus ihren Mündern gehört. Leider. Das moderne Regietheater, das postdramatische Theater, ist das beste Beispiel für des Kaisers neue Kleider. Menschen zelebrieren in pseudoreligiösem und rituellem Akt gemeinsam die heilige Messe einer zum Brand verkommenen Moderne. Geistreiche, aufklärerische Sprache, so eine, die sich nicht in Attitüde verliert, sondern tatsächlich etwas zu sagen hat, ist in einer traditionellen Form meist besser aufgehoben. Ich habe das Theater der Moderne immer geschätzt, solange es eine Funktion erfüllte, aber sobald es zu leeren Ritualen verkommt … dem heiligen Sam Beckett, dem heiligen Thomas von Bernhard oder der heiligen Elfie Jelinek Kerzerln auf den Altar zu stellen …
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Richard Schuberth wurde 1968 in Ybbs an der Donau geboren. Er studierte in Wien Ethnologie und eine Fächerkombination aus Philosophie, Psychologie und Geschichte. Von 2004 bis 2012 war er künstlerischer Leiter des von ihm initiierten Musikfestivals „Balkan Fever". Er verfasst Artikel, Essays, Rezensionen und Polemiken sowie Prosa, Drehbücher und Dramen. 2016 ist sein erster Film „Die wunderlichen Abenteuer des Nasreddin Kürtler“ erschienen.
© Fotos: Filmstills: Igor Ripak und Guido Möller; Schuberth-Portraits: Tanja Drašković Savić
Teilen mit: